„Asoziale“ und Jenische wurden gedemütigt
Nicht vergessen seien in diesem Zusammenhang jene Menschen, die von den Nationalsozialisten auch ohne rassischen Hintergrund als „arbeitsscheue“, „asoziale Elemente“ gebrandmarkt und, ohnehin schon an den Rand der Gesellschaft gedrängt, auch von diesem noch verstoßen wurden. Da man die meisten Roma ebenfalls für asozial hielt, waren die Grenzen zwischen den Verfolgungsgründen naturgemäß oft fließend. Margarete K. K. lebte mit ihren sechs Kindern Margarete, Else, Magda, Julia, Valerie und Zoltan sowie dem Enkelkind Ingeborg in Käsmark in der Slowakei. Ihr Mann war ein geschickter Handwerker, aber auch notorischer Säufer. Alle lebten sie unter desolaten Verhältnissen, waren unterernährt und „wahrscheinlich degeneriert“, wie eine Amtsbescheinigung aus der damaligen Zeit attestierte. Die Wohnverhältnisse in einem einzigen kleinen Raum waren gemäß derselben Quelle „äußerst ungesund“ und „vor allem in moralischer Hinsicht abzulehnen“. Also wurde verfügt, die Moral dieser „Asozialen“ durch eine Zwangsumsiedlung nach Deutschland zu heben: Wenn es um Einhaltung der NS-Rassenmoral ging, war kein Aufwand zu groß.

Als „Asoziale“ oder „Zigeunermischlinge“ betrachtete der Nationalsozialismus auch die so genannten Jenischen und behandelte sie entsprechend. Ihrer Herkunft nach stammen sie aus der ländlichen Armutsschicht in Tirol, der Schweiz und Süddeutschland. Zu einem Vergleich mit den Roma kam es, weil die Jenischen im 17. und 18. Jahrhundert zu wandern begonnen hatten und als traditionelle Randgruppe der Gesellschaft ähnliche Berufe wie die Roma ausübten: Scherenschleifer, Korbflechter, Lumpensammler. Weil sie im Vergleich zu den Roma oftmals eine hellere Hautfarbe haben, nennt man sie auch „weiße Zigeuner“. Sie sprechen eine eigene Sprache, die aus Versatzstücken aus dem Deutschen, dem Jiddischen, dem Hebräischen, Romanes und Rotwelsch besteht. Eine Jenische, die als ehemalige Zwangsarbeiterin an den Österreichischen Versöhnungsfonds herantrat, ist Ernestine W. aus Niederösterreich. Ihre Schilderung: „Mein Vater wurde 1941 zum Militär einberufen, ich war damals elf und das älteste von fünf Kindern. Meine Mutter und ich mussten zu einem Bauern arbeiten gehen, bekamen die niedrigste Arbeit zugewiesen, wurden als ,Zigeuner‘ und ,Schleifer‘ beschimpft, weil mein Vater und Großvater das Schleifergewerbe ausgeübt hatten, und wurden von Erwachsenen und Kindern gedemütigt. Wir waren dennoch froh, dass wir ein wenig zu essen bekamen.“ Ihr Geburtsschein weist sie als Tochter eines Marktfieranten und einer Karrenschleiferstochter aus.

Wegen ihrer Abstammung als „Jenische“ musste auch die Familie von Karl S. ihre Wohnung im heutigen Niederösterreich verlassen und mit ihrem Wohnwagen ins Waldviertel ziehen, wo sich die Familienmitglieder zeitweise in Wäldern versteckten und mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielten. Wenn er öffentlich auftrat, war Karl S. unaufhörlich Beschimpfungen und Demütigungen ausgesetzt und wurde schließlich zusammen mit seinem Vater zu Schanzarbeiten abkommandiert. Zwei Brüder der Mutter kamen im Konzentrationslager Mauthausen ums Leben.
 



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